„Als ich noch klein war, gab es das nicht.“ Erwachsene haben ja bekanntlich einen Hang, Vergleiche zu ziehen. Dabei sprechen sie gern über ihre eigene Kindheit. Es scheint dann so, als hätte es noch nie begabtere, wohl erzogenere Kinder gegeben wie damals, als Mama und Papa jung waren. Da waren die Kinder nämlich wirklich brav. Im Gegensatz zu heute. Sie brachten nie Verwarnungen nach Hause, sondern hatten in allen Fächern nur Einsen. Sie putzten immer selbst ihre Schuhe, machten jeden Tag ihr Bett. Sie wuschen sich jeden Morgen mit kaltem Wasser. Sie liebten nahrhafte Kost. Die kleinen Geschwister zu hüten war ihre höchste Lust, und der bloße Gedanke, als Lohn Geld fürs Kino anzunehmen war ihnen absolut fremd.
Nein. Auch heute ist es nicht leicht Kind zu sein. Es ist schwer. Sogar ungeheuer schwer. Denn was bedeutet es eigentlich Kind zu sein? Dass man zu Bett gehen, aufstehen, essen, Zähne putzen und die Nase putzen muss, wenn es den Großen passt. Nicht, wenn man selbst es möchte. Es bedeutet auch, dass man den alten Knust essen muss, wenn man eigentlich lieber eine Scheibe vom frischen Brot hätte. Es bedeutet, dass man ohne mit der Wimper zu zucken schnell für einen Liter Milch losrennen muss, obwohl man es sich gerade mit einem dicken Buch auf dem Sofa gemütlich gemacht hat. Es bedeutet auch, dass man ohne zu klagen, die persönlichsten Bemerkungen jedes x beliebigen Erwachsenen über sein Aussehen, seinen Gesundheitszustand, die Kleidung, die man trägt und die Zukunftsaussichten sich anhören muss. Ich habe mich schon so oft gefragt, was passieren würde, wenn man anfinge, die Großen in dieser Art zu behandeln. Was würden die Erwachsenen sagen, wenn es hieße: „Stellt euch nicht so an. Bei uns Kindern geht das ja auch.“
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Matthäus 18, 3
In einer Kurzversion erschienen in Dithmarscher Landeszeitung, Wort zum Sonntag, Sonnabend 6. Juni 2015
Nach: “Astrid Lindgren – Ein Lebensbild” von Margareta Strömstedt