Die spannenden Fotos sind meistens die, die fehlen. Beim Blättern durch die Feste klafft plötzlich eine Lücke. Da saß mal das Foto. War da etwa die Liebe abgebildet, die dich tief enttäuscht hat? Raus damit. Ratsch. Dieser Mistkerl. Oder etwa das, auf dem ich so pickelig bin. Wo Mama regelmäßig flötet: „Och, wie süß du da warst …“
Das Blättern von Papieralben bleibt heute oft auf der Strecke. Unsere Familienalben sind jetzt virtuell. Es wird fotografiert, was das Zeug hält. Und gelöscht, wenn’s nicht hübsch, nicht süß genug aussieht, mit zu wenig Lebensglanz. Dabei wird selbst das Intimste stolz vor die Augen vieler gezerrt. Schwangerschaftstests. Die erste enge Umarmung. Mit Weichzeichner und Herzchen. Photoshop macht’s möglich.
Doch was so intim anmutet, ist es gar nicht. Denn ich mache mir damit das Abbild meines Lebens, wie ich will, dass andere es sehen. Gerade deshalb macht es einen doch neugierig auf die anderen Bilder, jene bleichen Stellen wie früher im Album.
Denn wir wissen, dass es da noch andere Geschichten gibt. Die ohne Fotos. Die eher das Licht scheuen. Die von der Last erzählen, die wir uns selbst sind. Nicht nur wegen der Pickel. Die davon erzählen, dass ich mir Menschen wünsche, die feinfühliger sind. Die Geschichten mit den leisen Tönen. Wir brauchen sie aber, um an uns selbst zu wachsen. Das ist nichts zum Angucken. Eher etwas für Ohren, die uns zuhören, und einen, der sagt: Das ist aber eine besondere Geschichte von dir. Erzähl doch noch mehr von dir.
(Kurzversion als Wort zum Sonntag, Dithmarscher Landeszeitung, 2. April 2016)
Foto: Graphicstock
Fotoalbum
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Das ist eine besonders feine Geschichte! Kurzversion – gibt es auch eine lange Version??
Danke. Dieses ist die Langversion. In der DLZ ist die gekürzte Fassung erschienen. Herzliche Grüße.