Schööönheit vergeiht, Hektar besteiht

Du kennst das Sprichwort. Will sagen: Willst du heiraten, achte mal weniger auf das Aussehen, oder zumindest nicht nur, sondern vor allem auf die Mitgift. Wenn Land zu Land kommt, Acker zu Acker, sichert es nämlich das Auskommen. Dass dieses Sprichwort einen neuen Sinn erfährt und zwar beim Erben, das habe ich neulich von einem Dithmarscher gelernt.
Er tut es regelmäßig. Und so auch heute. Er steigt vom Trecker und läuft den Feldrain entlang. Den Randstreifen seines Ackers längs, der die Grenze zum Nachbarfeld markiert. Er tut das regelmäßig, um den Boden zu prüfen. Aber nicht nur das. Vor allem tut er es, weil er immer mal wieder s e i n e n Grund und Boden unter den Füßen spüren muss. Dabei in die Gemarkung schauen und die Nase in den Wind halten. D a s ist Leben, denkt er sich.
Doch heute wird sein Genuss gestört. Am Ende des Nachbarfelds sieht er drei Männer. Sie stehen da. Er geht auf sie zu und merkt, es sind die Nachbarsöhne. Er hat sie aufwachsen sehen. Er kennt sie von Kindesbeinen an. Jetzt sind sie längst erwachsen. Vor vier Wochen haben sie alle zusammen den Vater zu Grabe getragen. Und er war auch dabei. Aber heute scheinen sie ihm wieder wie kleine Jungs. Ratlos. Hängende Schultern. Traurige Gesichter. „Moin Jungs, was ist los? Warum lasst ihr so die Köpfe hängen?“ Und dann kommt es raus. Ihre Trauer im Herzen, dass der Vater tot sei. Und die Wut über ihn, dass er s o l c h ein Testament gemacht hat.
Sie wissen gar nicht, wie sie es regeln sollten. Sie wollen sich schließlich nicht wegen des Erbes untereinander erzürnen. Es seien siebzehn Hektar zu verteilen. „Wie sollen wir das bloß machen, wenn wir in graden Stücken rechnen sollen? Der Älteste von uns soll die Hälfte bekommen. Der Zweite ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel. Nun mach das mal. Bei 17 Hektar ist das unmöglich. Wir haben uns schon nächtelang die Köpfe heiß gerechnet.“
Der Bauer hört sich alles in Ruhe an. Schaut über seinen Acker nebenan. Steckt die Nase in den Wind und sagt dann schließlich. Lächelnd: „Ihr kriegt von meinem Land einen Hektar dazu.“ Die Nachbarsöhne schauen ungläubig. Und stecken schließlich doch die Köpfe zusammen. Und rechnen. Sie merken, so funktioniert es. Von den jetzt 18 Hektar würde der älteste Bruder die Hälfte bekommen. Also neun Hektar. Der Mittlere bekommt ein Drittel, also sechs Hektar. Und der Jüngste ein Neuntel, also zwei Hektar.
Und nun rechne du mal: Neun plus Sechs plus Zwei! Ein Hektar bleibt übrig. Nämlich der des Bauern. –
Er grüßt die Nachbarsöhne, dreht sich um und zieht seines Weges zurück zu seinem Trecker.
„Ihr selbst seid die Empfehlung, die von der Liebe Jesu Christi erzählt“, heißt es in der Bibel. Im 2. Korintherbrief des Apostel Paulus im übertragenem Sinn. „Ihr selbst seid die Empfehlung, die von der Liebe Jesu Christi erzählt. Sie wird nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes. Die Empfehlung steht auch nicht auf Steintafeln oder in Testamenten, sondern auf Tafeln aus Fleisch und Blut –
im menschlichen Herzen.“ Dass in der Zugabe eines Hektars so viel Liebe Jesu Christi stecken kann! Welch ein Glück. Ich wusste es doch: Schööönheit vergeiht. Hektar besteiht.
(Marktandacht am 30. Januar 2015, Meldorfer Dom)
Idee nach Paul Watzlawik
Foto: Simon Boie, Barsfleth

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